Presse

 

Skulpturen, Objekte und Kunst 

im öffentlichen Raum

Der künstlerische Werdegang von Eva Oertli begann in den 1980er Jahren. Nach Beendigung einer vierjährigen  Steinhauerlehre entschloss sich die in
dritter Generation in diesem Handwerk Ausgebildete zum Besuch der Münchener Kunsthochschule, wo sie zwei Jahre die Bildhauerklasse von Prof. Leo Kornbrust besuchte.

Fundstücke im Atelier, das sie sich mit ihrem langjährigen Geschäftspartner teilt, haben Eva Oertli mal zu einem „Kissen“ aus schwedischem Basalt, mal zu „Früchtchen“ aus graumeliertem Diabas inspiriert. Man möchte
seinen Kopf auf das schwarz glänzende Kissen betten, obwohl man von der Härte des Steines weiß. Und auch die „Früchtchen“ reizen zum Anfassen. Von vorne und von hinten ähneln sie einem Wurfgeschoss, von der Seite einer gewachsenen Frucht oder einem ledernen Ball. Und alte Randsteine aus gepresstem Granit sind in ein Ensemble fünfzackiger Sterne in unterschiedlicher Höhe, den „Sternä füüfi“, verwandelt.
Das Werkmaterial ist nur zum Teil aus der Region. Es wird, je nach Härtegrad, sowohl maschinell als auch manuell bearbeitet.
Der Mensch muss sich zwischen dem Bergmassiv von Glarus und Ennenda behaupten, eine Stele als hoch aufragende Form kann darin Akzente setzen.
Eva Oertli hat Stelen bis zu 5,5m Höhe sowohl als Innen- als auch
als Aussenskulpturen gestaltet. Sie kommen dreiseitig aus Tessiner Gneis herausgeschält daher und rufen verschiedene Assoziationen hervor. Sei es an
einen monumentalen Buchrücken wie die Granitstele in der Landesbibliothek Glarus, die auf einem schmalen Podest platziert ist, oder wie in den Aussenarbeiten, an
den Riesenzahn eines Sägerochens oder die Wirbelkörper eines großen Tieres.

Aus dem weich formbaren Material Lehm hat die Künstlerin mehrteilige Türme geschaffen. Ein Behältnis steckt gleichsam im nächsten, Stück für Stück kleiner werdend. Seine Enden laufen jeweils in gezackten Blütenblättern aus, oder sind durchbrochen, von fragilen Stegen getragen.
Paarweise oder in Dreiergruppen entstehen Säulen und Kugeln. Sie sind viele Male perforiert als wären Schnecken oder Termiten am Werke gewesen, die sich von innen nach aussen gefressen haben. Dabei sind Wülste entstanden. Diese Löcher kommen mal in größeren, mal in kleineren Abständen daher und verhalten sich wie die Poren einer Haut, die atmet, für den Austausch zwischen Innen und Aussen sorgt. Die Objekte haben ein spezifisches Eigenleben. Es sind keine perfekten Formen. In ihren Rundungen und Dellen erscheint die Eigenheit des Materials auch einen sanften Druck der Hände aufzunehmen.
Zum Brennen ihrer grossen Objekte konnte Eva Oertli eine Dachziegelbrennerei ausfindig machen.

In allem aber ist die Natur der Künstlerin ein grosses Vorbild. Seit längerem arbeitet Eva Oertli auch mit Alabaster, einer mineralischen Ablagerung. Sie formt Schalenobjekte, die aussen nach glatter Vollendung der Form streben und innen Spitzen bewehrt sind. So kontrastieren hier das Empfangende und Beschützende der Form mit dem Spitzen und Abwehrenden. Mit einem Durchmesser von bis zu 65 cm können diese partiellen, durchscheinenden Formen mit den Augen abgetastet werden. Es sind universell verstehbare Formen, in deren Auseinandersetzung die Künstlerin mit einem Kanon arbeitet wie er ursprünglich bei Kunstschaffenden aus dem asiatischen Raum meisterhaft zum Ausdruck kommt. Ein Potential wird hier berührt und eigenständig weitergeführt. Sein Formenschatz darin ist unendlich gross.

Eva Oertlis Themen umfassen gesamthaft ein weites Spektrum organischer Objektkunst bis hin zu den raum- und ereignisbezogenen Installationen. Dazu zählen die dreiteiligen „Wandobjekte“ aus Schiefer, die sie zum köstlichen Aussenwandschmuck einer Jugendstilvilla verarbeitet hat. Dieser erinnert nur auf den ersten Blick an Eisenklammern an einem Haus mit Rissen, hat jedoch seine Inspiration in den kleinen papierenen Füssschen des Schokoglückskäfers. Und am Glarner Schulhaus in Niederurnen zeigt sich ein Gespür für das Zusammenspiel von Architektur, Raum und Verwendungszweck mit dem viermaligen Auftauchen eines granitenen Drachenschwanzes, der die Hofbepflasterung durchstösst.
Im Park in Glarus umringen monumentale Finger einer „Hand“ einen Baum am Weg. Der Gemeinschaftsentwurf ist in Zusammenarbeit mit Beat Huber aus Beton gegossen worden. Den 1. Preis erhielten Eva Oertli und Rudolf Tschudin mit dem Entwurf „tête à tête“, für den Kreisel in Pratteln/BL. Sechzehn gesetzte Kopfprofile in fröhlichen Farben begrüssen die Verkehrsteilnehmer.
Ein besonderes Gedenkobjekt stellt die „“Drei“ in der Stadt und dem gleichnamigen Kanton Glarus dar. Am Landesgemeindeplatz platziert, erinnert sie, in knalligem Ferrarirot, an die Gemeindefusion des Kantons von 25 auf 3 Gemeinden im Jahr 2011. Sie trägt ein Charakteristikum der Künstlerin, nämlich die potentielle Beweglichkeit eines kalten Materials. Die markante Ziffer `3´ ist aus Aluminium gefertigt. Ihr diagonal von links oben gelängt gesetzter Ansatzbalken führt erst in einen Winkel und dann in die Rundung der Drei. Minimalistisch exakt ausgedrückt für einen wesentlichen Akt hin zu moderner Verwaltung.

In einem Zeitraum von zwanzig Jahren entstand eine Materialvielfalt in der Arbeit mit der Skulptur. Je nach Wahl unterscheidet sich der Formverlauf: Stein gemahnt an Organisches, kann sogar weiche Formen suggerieren und wird gleichzeitig in seinen Bearbeitungsmöglichkeiten bis an die Grenzen ausgetestet.                                   

Die Hand der Künstlerin schafft Neues gleich einer neuen Form des jeweiligen kristallinen Systems.

Andrea-Silvia Végh, 2012


«Kunst + Stein» 2/2008

Der Baum in der Handskulptur


Die Gemeinde Glarus liess den Volksgarten zwischen 1874 und 1882 auf einer Allmeind anlegen. Mit der von Eva Oertli und Beat Huber geschaffenen Betonskulptur einer Riesenhand, die einen Baum behutsam in den Griff zu nehmen scheint, erhält die Grünzone zwischen Strasse und Bahngeleise einen besonderen Akzent.

Die Finger einer Riesenhand ragen aus dem Boden. Der Wurzelbereich des Kastanienbaums scheint in die Handmulde gebettet. Es ist das Bild eines Setzlings in der Hand. Beim Gang durch den Volksgarten tatsachlich auf ein aus der Erde schauendes Körperglied zu treffen, wäre unheimlich. Die übergrosse Hand indessen lasst Beklemmung gar nicht erst aufkommen, sondern verblüfft unmittelbar.

Plakative Expedition
Eva Oertli, Ennenda GL, und Beat Huber, Feldmeilen ZH, haben gemeinsam den Baum in den Griff genommen. Das Werk – ein Betonguss – entstand 2004 im Rahmen der Skulptura, eine Ausstellung dreidimensionaler Arbeiten im Stadtraum, die 2009 eine neue Auflage erfahren dürfte. Für die beiden bedeutete der Beitrag laut einer eigenen Beschreibung eine «Expedition in die Publikumsgunst, die plakativ und allgemein verständlich sein soll». Sie planten, «das Experiment anzutreten, eine hochwertige Aussage in den bestehenden Kontext von Ort und Zeit proportional richtig zu fügen».

Fürsorgliche Handbewegung
Auch sagten sie: «Mit unserer Plastik wollen wir nicht dem Gärtnerberuf ein Denkmal setzen, sondern darauf hinweisen, dass wir als grosse Menschheit in Verantwortung für unseren Lebensraum stehen.» So lasst denn die Handbewegung dem Baum Sorge und Geborgenheit angedeihen. Behutsamkeit drückt sich auch dadurch aus, dass sich die Fingerstellungen der Schrage des Baumstammes anpassen.
Eva Oertli und Beat Huber begreifen die Hand als Überbringerin der Botschaft der Fürsorge. Ein solches Verständnis setzt eine künstlerische, in der Renaissance begründete Tradition fort, die durch Körperbewegungen Gefühlsbewegungen vermitteln will. «Das letzte Abendmahl» (1498) ist ein Glanzstück sprechender Hände: die Gliedmassen sind Ausdruck der Empfindungen, der geistigen Verfassung der Dargestellten. Leonardo da Vinci unterscheidet in einer Schrift zehn Bewegungsarten der Hand - darunter eine offene Variante, die in überdimensionaler plastischer Gestalt sozusagen eine ferne Nachbildung im Volksgarten Glarus gefunden hat.


Grüne Insel
Die allgemein nach 1850 aufkommenden Bestrebungen zur Verschönerung der Städte mit Parks und Promenaden fanden in Glarus eine bemerkenswert frühe und konsequente Anwendung. 1861 brannte der Hauptort des Kantons nieder. Im Wiederaufbaukonzept war zwar noch kein Stadtgarten vorgesehen. Doch zwischen 1874 und 1882 liess die Gemeinde den Volksgarten mit der Kirchweg-Promenade auf einer Allmeind im südöstlichen Bereich der Stadt anlegen.
Die Grünanlage befindet sich zwischen Strasse und Bahngleis. Die Handskulptur ihrerseits steht im südlichen Teil der Parkanlage und kennzeichnet eine Stelle, wohin man einen Besuch grene führt. Der Volksgarten ist zwar zu wenig gross, um den Stadtlärm zu schlucken, aber doch eine beliebte grüne Insel für Fussgänger, Jogger, Velofahrer und Familien mit Kinderwagen. Er liegt unweit des Bahnhofes. An seine östliche Flanke schmiegt sich das Kunsthaus, das sich in den letzten Jahren als Ausstellungsstätte aktueller Arbeiten junger Künstlerinnen und Künstler einen Namen gemacht hat.


Von Dr. Stefan Paradowski
Kunsthistoriker und Dozent an der Scuola di Scultura di Peccia Tl, freier Mitarbeiter im Redaktionsteam von Kunst+Stein.